0526/14 - Gleiche Rechte für Mitarbeiter*nnen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen

Ratsfraktion DIE LINKE. Hamm
Antrage

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

 

der Rat der Stadt Hamm möge die folgenden Beschlüsse fassen:

 

 

1. Der Rat der Stadt Hamm hält auch in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft die Gewährleistung der vollen Arbeitnehmer*innenrechte sowie die Beschränkung des besonderen Tendenzschutzes auf den Bereich der religiösen Verkündung für erforderlich.  Deshalb fordert er den Bundesgesetzgeber auf, den § 9 AGG (allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) entsprechende zu ändern und den § 118 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zu streichen.

 

2. Die Verwaltung wird beauftragt, mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen Gespräche zu führen, die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden Sonderrechte im Umgang mit den bei ihnen Beschäftigten verzichten.

 

3. Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Einrichtungen/ externen Trägern (konfessionsgebunden und konfessionsneutral) Vereinbarungen bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewährleistung der vollen Arbeitnehmer*innenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein.

 

Begründung:

 

Die beiden großen christlichen Kirchen sowie die Wohlfahrtsverbände in kirchlicher Trägerschaft wie Caritas und Diakonie übernehmen vielfältige Aufgaben im sozialen Bereich und in der Jugendhilfe. Sie unterhalten Krankenhäuser, Kindergärten und vielfältige weitere soziale Einrichtungen in Hamm. Hier gibt es seit langem eine gute partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Stadt und den kirchlichen Trägern. In den kirchlichen Einrichtungen sind viele Mitarbeiter*innen beschäftigt, die zum Wohle unserer Stadt hervorragende Arbeit leisten.

 

Für die beiden großen christlichen Kirchen und ihre Einrichtungen gelten besondere arbeitsrechtliche Regelungen. So hat hier das Betriebsverfassungsgesetz keine Gültigkeit (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Auch gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nur bedingt (§ 9 AGG). Diese Sonderrechte haben für die davon betroffenen ca. 1,2 Millionen Beschäftigten teilweise gravierende Folgen. Ihnen ist z.B. das Streikrecht weitgehend versagt. Ein Austritt aus der Kirche führt in der Regel zur Kündigung. Beschäftigte katholischer Einrichtungen sind zudem gehalten, die Wert- und Moralvorstellungen des Arbeitgebers auch privat einzuhalten. Dadurch können z.B. Geschiedene, die erneut eine Partnerschaft eingehen, oder gleichgeschlechtlich lebende Beschäftigte, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft Verantwortung für ihre/n Partner/in übernehmen, entlassen werden.

 

Dieses Recht der Kirchen gilt auch dann, wenn die kirchlichen Einrichtungen ganz oder zu großen Teilen von staatlichen Stellen (Bund, Länder und/oder Kommunen) finanziert werden.

 

Dieser Zustand sollte aus mehreren Gründen möglichst schnell geändert werden:

 

  • Ärzt*innen, Altenpfleger*innen, Kindergärtner*innen oder Schuldnerberater*nnen heilen Kranke, pflegen Senior*innen, erziehen Kinder oder beraten verschuldete Menschen – wer der evangelischen oder katholischen Kirche nicht angehört, ist dadurch für diese Tätigkeiten ebenso wenig disqualifiziert wie Menschen, die ein zweites Mal heiraten oder in einer homosexuellen Partnerschaft leben.
  • Viele Betroffene müssen potentiell ihr Privatleben vor ihrem Arbeitgeber verheimlichen.
  • In den Einrichtungen der Kirche gibt es einen wachsenden Anteil von Menschen anderer Glaubensrichtungen oder kultureller Vorstellungen. Auch diese Menschen müssen in Einrichtungen, die im öffentlichen Interesse mit öffentlichen Mitteln arbeiten, ein entsprechendes, kultursensibles Angebot finden.
  • In Sozialeinrichtungen, die weitgehende aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, müssen die Grundrechte, insbesondere Religions- und Weltanschauungsfreiheit, gewährleistet sein.

 

Die derzeit gültige Rechtslage und Praxis wird insbesondere von vielen Mitarbeiter*innen der kirchlichen Einrichtungen kritisiert. Aber auch viele Gläubige und kirchliche Institutionen fordern Änderungen; u.a. im September 2012 der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).

 

Inzwischen haben mehrere Gerichte den Betroffenen Recht gegeben (z.B. ArbG Aachen, BAG zum wiederverheirateten katholischen Geschiedenen, LAG Hamm und Hamburg, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, BAG zum Streikrecht). Es ist wenig zielführend, wenn sich die Betroffenen ihr Recht individuell erstreiten müssen. Eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen ist daher geboten (vgl. Beschluss Nr. 1).

 

Bis dahin können freiwillige Vereinbarungen (vgl. Nr. 2) bzw. vertragliche Regelungen (vgl. Nr. 3) für Abhilfe sorgen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

                                                                                  FdR

 

     Alisan Sengül                                               Dagmar Herbert

-Fraktionsvorsitzender-                             -Fraktionsgeschäftsführerin-